In Teil 1 dieser Serie haben wir die Unterschiede zwischen einem starren und einem flexiblen Selbstbild thematisiert. Die meisten Menschen haben wohl in unterschiedlichen Bereichen ein bisschen von beidem und es lohnt sich, die «starren» Bereiche anzupacken. Doch wie erkenne ich, dass mein Kind von solchen Gedanken blockiert ist, und was kann ich dagegen tun?
Unser Selbstbild zeigt sich oft in unseren Worten und Verhaltensweisen. Sätze wie «Ich bin halt schlecht in Mathe.», «Das lerne ich nie!» oder «Bei den andern geht das so leicht!» weisen auf ein starres Selbstbild hin. Das Verhalten, sich lieber (zu) einfache als herausfordernde Aufgaben im Spiel oder bei Aufgaben auszusuchen, ebenfalls. Wir wollen vorsichtige, zurückhaltende Kinder natürlich nicht bedrängen, sondern alle Arten von kleinen Menschen immer wieder an Dinge heranführen, die vielleicht nicht von Anfang an gleich gelingen.
Als Elternteil kann man also Veränderung im Kleinen anstossen. Wir können Kinder in ihrem Erleben von Misserfolg oder Anstrengung begleiten, indem wir uns mit ihnen an vergangene erfolgreiche Lernprozesse erinnern und zusammen eine Einstellung entwickeln, die Anstrengung und Fehler als völlig normale – nicht negative! – Teile eines Lernprozesses einordnen.
Wir fördern konstruktiven inneren Dialog bei Kindern in den Momenten, in denen wir sie beim Lernen mit Geduld und einer Perspektive begleiten, die über die nächste Prüfungsnote und abgegebene Hausaufgabe hinaus reicht. Eine schnell und fehlerfrei erledigte Aufgabe war eine erfolgreiche Erledigung, aber keine Lernsituation. In diesem Fall gab es nichts Neues zu lernen, sondern bereits Gelerntes wurde angewandt. Neue Kompetenzen zu erwerben braucht zumeist viel Übung und Kraft – schliesslich ist auch das schlauste Baby unzählige Male hingefallen, bevor es laufen konnte!
Dieser Umdenkprozess funktioniert nur, wenn die Erwachsenen ihn sich selbst zu Herzen nehmen. Lob in Form von «Wow, null Fehler – toll!», «Das war ja leicht für dich!» oder «Was für ein cleveres Kind du bist.» gehört damit der Vergangenheit an. Um ein flexibles Selbstbild zu unterstützen, können wir Anstrengung, eigene Lösungswege, Ideen und Durchhaltewille bekräftigen:
«Juhuu, geschafft! Ich habe gesehen, wie oft du dafür geübt und nicht aufgegeben hast.»
«Das war anstrengend, gell? Jetzt hast du dir eine Pause verdient. Ich bin mir sicher, wenn du weiter übst, wird es bald klappen!»
Sobald Kinder ihren Erfolg nämlich weniger von ihrer Intelligenz oder ihrem Talent abhängig machen (weg von: «Das wird klappen WEIL ich schlau bin.»), werden Herausforderungen immer mehr zu Abenteuern. «Das ist schwierig… und cool! Wenn ich lange genug daran knoble/übe/ausprobiere, kann ich etwas Neues schaffen!»
Bedeutet ein flexibles Selbstbild also, dass wir von jetzt an immer neuen Bestleistungen nachjagen und unsere Kinder stetig pushen sollen? Ganz und gar nicht. Die Erkenntnis, dass wir uns grundsätzlich verändern können, bedeutet schliesslich nicht, dass wir das auch tun müssen. Selbstoptimierung ist ein lukrativer Trend, aber hat keinen Platz in einer gesunden kindlichen Entwicklung.
Die neurologische Realität ist, dass die meisten Menschen die Grundlagen des Lehrplans und andere Fertigkeiten bis zu einem gewissen Level erlernen können. Wir werden nicht alle Meisterkomponist*innen oder Olympiasieger*innen werden, doch Übung und Dranbleiben bergen zahlreiche Möglichkeiten für jedes Leben. In den Worten von Carol Dweck:
«Wer glaubt, dass Talente entwicklungsfähig sind, kann sein Potenzial voll ausschöpfen.»
Lies im nächsten Artikel, warum dieses Thema auch auf dem Sportplatz oder im Schulzimmer relevant ist: